Manch einer malt mit tiefstem Schwarz das Bild von einer Welt, in der Maschinen effizienter arbeiten können, als der Mensch. Während das Kapital der Investoren dann weiterhin von Robotern und Algorithmen vermehrt wird, kann die lohnabhängige Bevölkerung in dieser automatisierten Welt nicht einmal mehr ihre Arbeitskraft veräußern. Ein gnadenloser Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt führt bald schon zu immer niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen. Wird die moderne Arbeitswelt also durch die Digitalisierung weniger human?
Ganz so schlimm wird es wohl nicht kommen, denn viel spricht dafür, dass es genuin menschliche Fähigkeiten gibt, die Computer grundsätzlich nicht übernehmen können. Auf die Markt- und Meinungsforschung bezogen gehören dazu beispielsweise die Konzeptualisierung von Studiendesigns, der vertrauensvolle und empathische Umgang mit Studienteilnehmern, das abwägende Beurteilen von Fakten, das Inspirieren anderer Menschen mit bedeutungsvollen Insights oder das Knüpfen und Pflegen von Beziehungen.
Fest steht aber auch, dass der technologische Wandel massive Auswirkungen auf unsere Arbeitswelt haben wird. Dazu muss man sich nur ansehen, wie sich die Halbwertszeit unseres praxisrelevanten Wissens in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Während in der Markt- und Meinungsforschung nach wie vor methodologische Fachbücher von vor über fünfzig Jahren wie die Heilige Schrift verehrt werden, gilt in der IT Branche bereits die Faustregel, dass einmal erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten nach drei Jahren ihre Bedeutung für die Praxis verloren haben. Das relevante Wissen von heute steckt also vielleicht gar nicht mehr in Büchern, sondern im Computer.
Wer aber seine menschlichen Fähigkeiten zur Geltung bringen möchte, muss eine Vorstellung vom technologischen Umfeld haben, in dem diese Kompetenzen benötigt werden. Welche unserer Kenntnisse sind in Zeiten von Automatisierung und künstlicher Intelligenz gefragt und wie können wir dieses Wissen bestmöglich einbringen? Wie entsteht eigentlich ein Machine Bias und was kann man dagegen tun? Was bedeutet Datenqualität im Zeitalter von Big Data? Vor dem Hintergrund dieser Fragen reicht es schon lange nicht mehr aus, sich auf dem bestehenden Fachwissen zur Stichprobenziehung und Fragebogengestaltung auszuruhen. Der technologische Wandel erodiert schleichend unsere Passung in die Welt.
Nun aber müssen wir uns immer schneller fort- und weiterbilden, um nicht den Anschluss zu verlieren. Und genau darin besteht für unsere Branche vielleicht die größte Herausforderung! Es reicht einfach nicht mehr, borniert an den methodologischen Standards des letzten Jahrhunderts festhalten und widerwillig sein Wissen über die letzten Markttrends zu aktualisieren. Die moderne Welt der Insights dreht sich um Datenbanken, Schnittstellen, Algorithmen oder Visualisierungen, – und sie dreht sich immer schneller. Gerade deshalb brauchen wir dringend einen echten Kulturwandel, denn eine bejahende Aneignung neuer Technologien war bislang nicht unsere größte Stärke.
Es gibt aber auch strukturelle Gründe dafür, dass wir uns mit kontinuierlicher Weiterbildung so schwertun. Die Verantwortung dafür wird nämlich seit jeher gerne wie ein schwarzer Peter herumgereicht. Wenn man der betriebswirtschaftlichen Binsenweisheit Glauben schenkt, sollten Arbeitgeber nämlich grundsätzlich nicht in Trainings ihrer Mitarbeiter investieren, wenn diese ihre frisch erworbenen Fähigkeiten für höhere Gehaltsforderungen nutzen können. Am Ende bleibt man nämlich nicht nur auf den Kosten der Weiterbildung sitzen, sondern sieht sich auch mit höheren Ansprüchen der Mitarbeiter konfrontiert. Und im schlimmsten Fall wandern diese sogar zur Konkurrenz ab. Deshalb wird die Verantwortung für den kontinuierlichen Wissenserwerb auch immer wieder gerne auf die Angestellten abgewälzt.
Dabei gäbe es mittlerweile viele partnerschaftliche Modelle, bei denen man gemeinsam die Kenntnisse des Teams auf den letzten Stand bringt und jeder irgendwie seinen Beitrag leisten muss: Fortbildungen, die vom Mitarbeiter anteilig in der Freizeit durchgeführt werden, oder Kurse, die als Voraussetzung für eine Beförderung belegt werden müssen. Nicht zuletzt spielen aber auch softe Faktoren eine immer größere Rolle, um sich als Arbeitgeber für die Angestellten attraktiv zu halten – ein gutes Betriebsklima, faire Entlohnung und sozialverträgliche Arbeitsbedingungen etwa. Warum sollte man das alles leichtfertig aufgeben, nur, weil man gerade an einer Fortbildung teilgenommen hat?
Wenn man diese Argumente zusammennimmt, kann man eigentlich ganz guter Dinge in die digitale Zukunft schauen. Wir brauchen die modernen Technologien nicht obwohl, sondern gerade weil wir unsere menschlichen Stärken als Markt- und Meinungsforscher betonen wollen. Wer in Zeiten des digitalen Wandels stillsteht, wird nämlich womöglich irgendwann von Computern ersetzt. Nur wer sich auf den Wandel einlässt, wird mit seinen eigentlichen Fähigkeiten voll zur Geltung kommen. Und so haben wir dann auch von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz nichts zu befürchten!
Dieser Artikel ist zuerst auf marktforschung.de erschienen.