Zu den größten Rätseln unserer Zeit gehört es, dass der technische Fortschritt seit Jahrzehnten rasend schnell voranschreitet, die wirtschaftliche Produktivität jedoch nur vergleichsweise langsam wächst. Macht uns die Digitalisierung also gar nicht produktiver? Die vielfältigen Erklärungsversuche für dieses Phänomen sind durchaus spannend.
Die zuversichtliche Perspektive ist, dass sich die Innovationskraft der Digitalisierung erst noch voll entfalten muss, schließlich lagen auch bei der industriellen Revolution Jahrzehnte zwischen der Erfindung der Dampfmaschine und ihren volkswirtschaftlichen Effekten. Zur Verbreitung jeder neuen Technologie braucht es nämlich immer auch entsprechende Bildungsstandards, neue Arbeitsabläufe, Geschäftsmodelle, Wertschöpfungsketten und vieles mehr – und es kann dauern, bis sich alles richtig aufeinander eingespielt hat. Demnach steht uns das große Wachstum also erst noch bevor.
Pessimisten wenden dagegen ein, dass die digitale Welt einfach keinen pekuniären Mehrwert schafft, – was nicht zuletzt daran liegt, dass digitale Güter häufig nicht knapp sind. Stattdessen sind nun vormals zahlungspflichtige Leistungen plötzlich kostenlos, einst profitable Wirtschaftszweige gehen langsam kaputt. Eine Volkswirtschaft aber, die mit ihren Gratisangeboten kein Geld verdient und gleichzeitig Arbeitnehmer in großem Stil durch Maschinen ersetzt, sorgt nicht für mehr Wohlstand, sondern schafft lediglich höhere Ungleichheit. Einige wenige profitieren, die Mehrzahl der Menschen bleibt aber auf der Strecke. Aus dieser Perspektive brodelt es unter der ruhigen Oberfläche volkswirtschaftlicher Kennzahlen. Steht uns der große Crash bevor?
Auch in unserer Branche gibt es beide Lager. Die Anhänger der Digitalisierung verkünden, dass neue Technologien unser Berufsfeld in naher Zukunft umkrempeln werden und machen sich auf die Suche nach den passenden Geschäftsmodellen. Sie befürchten den Anschluss an die moderne Welt zu verlieren, sollte sich unsere Branche als nicht wandlungsfähig erweisen. Anhänger des anderen Lagers halten dagegen, dass sich echte Marktforschung gar nicht durch den Einsatz von Technologie auszeichnet, sondern durch das Verstehen von Konsumenten und die Beratung von Unternehmen – und das geht prinzipiell auch ganz ohne digitale Hilfsmittel. Sollten wir jedoch auf lange Sicht zu technikgläubig bleiben, droht der Niedergang unserer zwischenmenschlichen Kompetenzen.
Am Ende spielt es vielleicht gar keine Rolle, welche Position gerade recht hat – auch nicht, wer in der Auseinandersetzung die Optimisten sein dürfen und wer den Miesepeter geben muss. Viel spannender ist, dass auch in diesem Jahr beide Perspektiven mit am Verhandlungstisch saßen, als in den Instituten die Budgets für 2018 geschrieben wurden, – ganz nach dem berühmten Thomas-Theorem, dass eine Situation bereits dann reale Konsequenzen hat, wenn sie von Menschen als real definiert wird: Wer die Zukunft in der Digitalisierung unserer Branche sieht, trifft seine strategischen Entscheidungen entsprechend. Wer in ihr den Untergang sieht allerdings auch.
Bemerkenswert daran ist, dass man sich dieser Dynamik gar nicht mehr entziehen kann. Man muss nicht einmal die Argumente plausibel finden, mit denen die Jagd nach Innovationen begründet wird. Wenn nur genug Unternehmen um neue Kompetenzen und Techniken wetteifern, erhöht das automatisch den Handlungsdruck auf alle. Und die Beweislast ist ohnehin schon längst umgekehrt: Erklärungsdürftig ist, wenn man sich den Neuerungen verschließt und alles beim Alten belassen möchte (und genau deshalb gibt es auch hierfür bereits neue Etiketten und aufregende Buzzwords, die eben das verschleiern sollen). Den Hype kann man jedenfalls nicht ignorieren.
Dabei ist ein Hype per se gar nicht verwerflich, ganz im Gegenteil. Ohne das Amalgam aus Halbwissen, latenter Selbstüberschätzung und blinder Zukunftsgläubigkeit würde sich wohl niemand an Neues wagen. Und wohin der Weg führt, sieht man bekanntlich ohnehin immer erst, wenn man ihn bereits beschritten hat. Bedenklich wird es allerdings, wenn auf den eigenen Hochmut keine Ernüchterung mehr folgt, wenn der Abgleich der eigenen Ambitionen mit der Realität versagt. Dann bilden sich gefährliche Blasen aus, die den Selbstbetrug ganz alleine dadurch stabilisieren, dass niemand mehr widerspricht. Unsere Branche muss digitaler werden!
Zum Glück gibt es immer wieder diese eine Woche zwischen Weihnachten und Neujahr, die wie ein Niemandsland zwischen den Jahren liegt und zur Besinnung einlädt: man hat das alte Jahr bereits abgeschlossen, aber das neue Jahr noch nicht begonnen. Innehalten, Abstand gewinnen, wieder das Wesentliche in den Blick bekommen. Zeit mit der Familie verbringen, Freundschaften pflegen, sich selbst etwas Gutes tun. Man fokussiert sich wieder und fasst seine guten Vorsätze: ab jetzt soll es anders werden! Es ist eine Zeit, in der die Hypes Sendepause haben, in der die Aufregung des Alltags verfliegt. Und vielleicht, wenn alles gut geht, kann man diese klare Sicht der Feiertage mit ins Neue Jahr retten. Muss unsere Branche digitaler werden? Oder sind es am Ende doch die zwischenmenschlichen Beziehungen, die zählen?
Ich wünsche Ihnen jedenfalls eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Start ins Neue Jahr!
Dieser Artikel ist zuerst auf marktforschung.de erschienen.