Der Nachwuchs von heute…

Es ist wirklich skandalös, wie schlecht unser Nachwuchs mittlerweile ausgebildet ist. Viele dieser angeblichen Talente haben unzulängliche Kenntnisse in Statistik, Marketing und Betriebswirtschaft. Von den Jungforschern wird teilweise auch ein derart hanebüchener Unsinn erzählt, dass es einem für unsere Profession Angst und Bang werden kann!

Ich hoffe, Sie mussten derartige Vorurteile noch nie hören – ich befürchte jedoch schon. Seit zehn Jahren gibt es nun die Ausbildung zum Fachangestellten für Markt- und Sozialforschung (FAMS), die der ADM mit der IHK damals ins Leben gerufen hat. Auch Norstat ist ein Ausbildungsbetrieb und ich spreche für alle meiner Kollegen, wenn ich sage, dass unsere Fachangestellten zu “den besten Pferden im Stall” zählen. Im Gegensatz zu den Hochschulabsolventen (wie mir) haben unsere Azubis nämlich in der Berufsschule einen breiten Überblick über die Branche vermittelt bekommen und auch in unserem Unternehmen alle Abteilungen durchlaufen. Umfassender geht es nicht!

Woher kommen dann aber in unserer Branche die Vorbehalte gegenüber dem Nachwuchs? Fest steht nur, dass die neue Generation anders ausgebildet ist, als früher.

  • Erstens sind dafür jene neuen Lehrinhalte verantwortlich, die in einer modernen, digitalen Welt dringend benötigt werden. Bereits die Lehrpläne der allgemeinbildenden Schulen sehen grundlegende Webtechnologien wie HTML und JavaScript vor. Auch an den Hochschulen kann man deutliche Entwicklungen im Bereich e-Learning beobachten. Diese Entwicklung wird sich in Zukunft eher noch fortsetzen: Viele Pädagogen fordern bereits die Einführung eines Schulfachs “Digitalkunde”, um die Medienkompetenz in den Bereichen Datenschutz, digitale Zusammenarbeit, Kreativität und natürlich Programmieren weiter zu verbessern.
  • Zweitens haben diese “Digital Natives” den sog. “Digital Immigrants” oft auch Medienkompetenz voraus. Während es zum Beispiel immer noch Forscher geben soll, die fremdsprachige Publikationen meiden, ist es für unseren Nachwuchs absolut selbstverständlich, dass man im Internet nicht um solide Englischkenntnisse herumkommt. Dementsprechend umfassend sind dann auch die Informations- und Inspirationsquellen, auf die ein junger Forscher während seiner Ausbildung zugreifen kann.
  • Drittens weist unser Nachwuchs häufig wesentlich internationalere Studienverläufe auf, als noch frühere Jahrgänge. Die Europäische Integration (insb. die offenen Grenzen, die Gemeinschaftswährung und der Bologna-Prozess) begünstigen Schüleraustausch bzw. Auslandssemester und damit natürlich nochmal den Erwerb von Fremdsprachen und interkulturellen Kompetenzen. Unterm Strich haben wir es also zunehmend mit Arbeitnehmern zu tun, die dazu bereit sind, auch Karrierechancen fern der eigenen Heimat wahrzunehmen.

Und damit sind wir bei der Frage angelangt, ob ein derart veränderter Bildungsweg den Anforderungen der Marktforschung angemessen ist. Bei dieser Diskussion sollte man jedoch nicht unterschlagen, dass auch unserer Branche einige Umstellungen abverlangt werden. Schon alleine das Marketing unserer Kunden ist in der Digitalen Welt ein anderes geworden: Konversionen sind messbar, und zwar in Echtzeit. Wir erleben vielleicht auch gerade deshalb ein Erstarken von Verhaltensexperimenten. Und selbst wenn unser Wissen um TV-Werbewirkung noch Gültigkeit hat, gesellen sich dazu Fragen zum Einfluss des “Second Screen”. Auch die Anforderungen an Marktforschung haben sich also geändert – nicht nur der Nachwuchs.

Und so liegt irgendwie der Verdacht nahe, dass die lautstarken Vorbehalte am Nachwuchs ein Alibi derjenigen sind, die mit den eigenen Kompetenzen bald zum alten Eisen zu gehören werden. Der Deckmantel von Schuldzuweisungen wird schützend über einem vermeintlichen Status Quo ausgebreitet, den es so nicht gibt und vermutlich auch nie gab. Warum aber sollten sich die echten Talente dazu anschicken, ihre Ideen und Kompetenzen einer Branche zur Verfügung zu stellen, die ihr teilweise mit Arroganz und Feindseligkeit begegnet?

Deshalb hört bitte endlich auf, über den Nachwuchs zu schimpfen! Eine bessere Zukunft kann uns nicht passieren.

Dieser Artikel ist zuerst auf marktforschung.de erschienen.