Wer sich zum ersten Mal mit “Mobile Research” auseinandersetzt, wird schnell feststellen, dass dieser Begriff relativ unscharf ist. Das kann man nicht zuletzt an den aktuellen Richtlinien für mobile Forschung der ESOMAR ablesen. Statt einer Definition für mobile Forschung findet man dort zunächst allgemeine Grundsätze, die später mit zahlreichen Querverweisen auf andere Richtlinien an einigen Anwendungsfällen konkretisiert werden. Was mobile Forschung aber genau ist, weiß man am Ende immer noch nicht. Immerhin eins kann man hier lernen: Begriffe spielen keine Rolle, solange man sich angemessen um die Inhalte kümmert.
Was kann also gemeint sein, wenn “mobil” gesagt wird? Hier gibt es vier Bedeutungsebenen, die je für sich Unschärfe erzeugen. Erstens geht es um den Nutzungskontext des Internets: “mobil” bedeutet “irgendwo, unabhängig von Schreibtischlampe, Steckdose oder Drucker”. Das kann außerhalb der eigenen Wohnung sein, z.B. wenn man unterwegs ist, quasi als Internet für die Hosentasche. Das kann aber auch an einem immer gleichbleibenden Ort daheim sein, z.B. auf dem Sofa im Wohnzimmer, im Schlafzimmer oder, – manchen Statistiken zufolge sogar immer öfter -, auf der Toilette. Zweitens geht es bei “mobil” um Geräte, die in solch einem “mobilen” Nutzungskontext vorkommen, üblicherweise Smartphones und Tablets. Es spricht aber nichts dagegen, auch iPods, eBook-Reader, Netbooks oder Laptops in diese Reihe mit aufzunehmen. Drittens steht “mobil” häufig als Chiffre für eine wie auch immer andersartige Funktionalität solcher Geräte – mit GPS und vielfältigen anderen Sensoren ausgestattet, ohne Maus und Tastatur, mit kleinen Bildschirmen, ohne Flash und einer langsameren, weil mobilen Internetverbindung. Mangels besserer Begriffe werden manchmal auch andere internetfähige Geräte, wie Spielkonsolen oder Smart-TVs, nach dieser Logik als “mobile” Geräte behandelt; hier darf man sich nicht verwirren lassen. Und viertens ist nicht immer klar, was mit “mobiler” Forschung gemeint ist? Reicht es, wenn mobile Endgeräte im Einsatz sind, oder braucht man für die Forschung auch eine eigene App? Geht es hier um passive Datensammlung oder um aktive Erhebung? Und wie verhält es sich bei qualitativer bzw. quantitativer Forschung?
Diesen Fragen nähert man sich am besten der Reihe nach! Die Geräte selbst interessieren aus methodischer Sicht meistens eigentlich nicht, sondern lediglich deren technische Ausstattung. Hier hat man es mit vielfältigen Merkmalen zu tun, die in unterschiedlichen Häufigkeiten und Kombinationen vorliegen. An dieser Stelle muss man als Forscher eine grundsätzliche Entscheidung treffen: Man kann sich entweder auf eine bestimmte Gerätegruppe fokussieren oder aber eine Lösung suchen, die prinzipiell auf allen Geräten kompatibel ist.
Der erste Ansatz wird in der Praxis vor allem mit Forschungs-Apps verfolgt, die jeweils für unterschiedliche Betriebssysteme entwickelt werden müssen. Ein erster Nachteil liegt im relativ hohen Entwicklungsaufwand, wenn mehrere Betriebssysteme abgedeckt werden sollen (z.B. iOS, Android, Windows). Mangelnde Abdeckung aller Betriebssysteme führt dagegen zu einer Einschränkung der Zielgruppe, die durch hohe Einstiegshürden für den App-Nutzer weiter verschärft wird (Stichwort: Datenschutz und Privatsphäre beim Herunterladen und Installieren einer Software für Marktforschungszwecke). Der große Vorteil von Forschungs-Apps ist die weitgehende Unabhängigkeit vom Internet und die prinzipielle Möglichkeit auch passiv Daten zu erheben.
Das Gegenmodell dazu, wie auch wir bei ODC Services es verfolgen, ist ein konsequent responsives Layout, das mit jedem internetfähigen Gerät dargestellt werden kann. Responsives Webdesign ist eine moderne Programmiertechnik, die dafür sorgt, dass sich Internetseiten dynamisch den technischen Anforderungen des jeweiligen Endgerätes anpassen. Auf diese Weise können qualitative und quantitative Studien mit jedem Webbrowser durchgeführt werden – egal ob am Desktop PC, einem Tablet, einem Smartphone oder der Spielkonsole. Dass man keine passiven Erhebungen durchführen kann, ist sicherlich als Nachteil dieser Technik anzusehen. Auch die Abhängigkeit von einer Internetverbindung ist derzeit eher noch problematisch, wird sich aber voraussichtlich mit dem kontinuierlichen Ausbau des Mobilfunknetzes immer weiter abmildern. Der große Vorteil ist dagegen die vergleichsweise günstige Entwicklung und die Tatsache, dass man wesentlich weniger systematische Ausfälle hat. Und falls man wirklich eine bestimmte Gerätegruppe kategorisch ausschließen möchte (z.B. Geräte mit kleinen Bildschirmen bei einem Werbemitteltest), ist das mit einem Device Check ohne Probleme immer noch möglich.
Alle Fragebögen, die derzeit bei ODC Services programmiert werden, sind für alle gängigen Browser geeignet. Deshalb kann man an unseren Umfragen unabhängig davon teilnehmen, wo und mit welchem Gerät man gerade eine Umfrageeinladung empfangen hat. Das ist hochgradig nutzerfreundlich, schließlich stellt sich die Umfragetechnik individuell auf die jeweiligen Gegebenheiten ein: wer die Umfrageeinladung auf seinem Smartphone in der U-Bahn abruft, wird den Fragebogen ebenso leicht ausfüllen können, wie jemand, der seine Emails am Firmencomputer im Büro liest. Überspitzt gesagt wird Marktforschung hier vom Nutzer und nicht mehr vom Befragungsmedium her gedacht; es spielt keine Rolle, welche internetfähigen Medien (an den anderen arbeiten wir noch) zur Verfügung stehen. Darüber hinaus wird aber auch die Feldarbeit radikal vereinfacht, schließlich kann jeder, der auf den Umfragelink klickt, auch tatsächlich teilnehmen. Das erhöht kurzfristig die Erreichbarkeit der Panelisten, steigert aber auch langfristig die Motivation der Teilnehmer und wirkt sich somit positiv auf die Responserates aus.
Bei aller Euphorie darf man nicht die vielfältigen Herausforderungen übersehen, die mit einem responsiven Webdesign einhergehen. Wir wissen zum Beispiel, dass die Beantwortung eines Fragebogens mit mobilen Endgeräten durchschnittlich 30% mehr Zeit benötigt, sei es durch eine umständliche Texteingabe per Touchscreen oder durch die mobile Internetverbindung. Das wirft nicht nur die Frage auf, ob sich die Incentives weiterhin an der Umfragedauer orientieren sollten, sondern auch wie lange ein Interview auf unterschiedlichen Geräten maximal dauern darf. Ein weiteres Problem ist der Umgang mit Texten auf kleinen Bildschirmen. Solange der Proband nicht scrollen soll, ist häufig zu wenig Platz für Textkonzepte, ausführliche Erklärungen oder differenzierte Statements. Auch hier deuten sich neue, substantielle Anforderungen an eine geräteübergreifende Fragebogengestaltung an. Diesen Anforderungen kann nicht immer nachgegeben werden. Implizite Fragetechniken setzen zum Beispiel vergleichbare Bedingungen bei der Dateneingabe voraus. Auch die Exploration von Werbeanzeigen verlangt häufig, dass der Bildschirm eine gewisse Größe hat. Und manchmal ist einfach Flash die beste Lösung, um einen speziellen Fragetypen umzusetzen. Kurz: Responsives Webdesign macht im Forschungsalltag nicht immer Sinn. Deshalb muss man Teilnehmer mit unpassenden Geräten gelegentlich mittels Device Check ausschließen und gibt so wieder etwas von den Vorteilen preis, die man mit einem responsivem Layout grundsätzlich hätte. Zuletzt stellen sich Fragen nach der Vergleichbarkeit von Daten zwischen einer mobilen und einer normalen Anzeige. Man möchte sog. „Mode-Effekte“ aus der Erhebungsmethode zwar einerseits bestmöglich kontrollieren können, andererseits korreliert die Nutzung mobiler Geräte häufig mit der Soziodemographie und Einstellung. Pauschale Aussagen wird man hier wahrscheinlich nicht so schnell treffen können.
Doch die Erfahrungen der letzten Jahre machen auch Mut! Onlineforschung mit responsivem Webdesign ist mehr als reine Bestandserhaltung oder eine graduelle Verbesserung der Methoden. Hier schlummert ein großes Potenzial, wenn man über die technischen Aspekte hinaus geht und die Nutzungskontexte des Internets in die Methode mit einbezieht. Nehmen wir zum Beispiel IHUTs, also Produkttests in der häuslichen Umgebung. Testprodukte könnten hier Haushaltsgeräte, Kosmetik, Reinigungs- oder Hygieneprodukte sein. Üblicherweise geht es zunächst mit einer kurzen quantitativen Vorbefragung los, die die Eignung und Teilnahmebereitschaft des Befragten für den Produkttest überprüft. Hier spricht meistens nichts gegen einen geräteübergreifenden Fragenbogen. Wenn man die Teilnehmer identifiziert und ihnen das Testprodukt zugesandt hat, beginnt die Testphase, die zwischen einer und mehreren Wochen dauern kann. Diese Testphase könnte nun (von einem Teil der Stichprobe) mit einem Online-Tagebuch begleitet werden, das ebenfalls für mobile Geräte optimiert ist. Auf diese Weise werden die Tagebucheinträge um Fotos und Videos angereichert, die in der Nutzungssituation mit dem jeweiligen Gerät aufgenommen wurden. Dadurch bekommt man nicht nur die nachträglich erstellten und oft reflektierten Nutzungsberichte, sondern mehr noch, wirklichkeitsnahe Dokumente, die einen unvermittelten Eindruck von der Produktnutzung und dem Nutzungskontext bieten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses reichhaltige Material nochmal Veränderungen an der Nachbefragung notwendig macht, indem es zu einem tieferen Verständnis der Produktnutzung führt. Und genau diese typischen Nutzungssituationen lassen sich dann in einer Nachbefragung quantifizieren, womöglich sogar mit authentischen Berichten aus der Testphase und auch für Teilnehmer, die über keine mobilen Endgeräte verfügen.
An diesem Beispiel wird aus unserer Sicht der Mehrwert geräteunabhängiger Forschung deutlich. Mit einem rein mobilen Ansatz wäre der Kreis potenzieller Teilnehmer von vornherein zu stark eingeschränkt, um verallgemeinerbare Ergebnisse zu bekommen. Hätte man aber umgekehrt mobile Endgeräte ausgeschlossen, wäre man nicht so nahe an die wirkliche Produktnutzung im häuslichen Umfeld herangekommen. Dieses Beispiel steht stellvertretend für viele andere Studientypen, bei denen die Onlineforschung die Computerarbeitsplätze verlassen hat und, wenn man so möchte, laufen gelernt hat. Denn am Ende geht es bei Forschung meist nicht um Medien, sondern darum, an die Menschen möglichst nahe heranzukommen. Das Internet, mit all seinen Ausprägungen, ist dafür immer nur ein Mittel zum Zweck.
Dieser Artikel ist zuerst auf marktforschung.de erschienen.